Michael Kasiske Freier Autor

17.08.2007 Bauwelt 32

Weitergedacht. Renovierung einer Wohnung im Berliner Hansaviertel

Architekten Reuter Schoger Architekten, Berlin

Denkmalpflege wird heute oft kunsthistorisch ausgelegt, womit dann ausschließlich im Nachbau des Originals die wahre Lösung liegt. Über einmal erreichte Qualitäten hinausgehen zu können, wird heutiger Architektur zumeist abgesprochen. Deshalb muss der frische Mut, die hohe Qualität einer von Alvar Aalto zur Interbau 1957 entworfenen Wohnung noch steigern zu wollen, ausdrücklich anerkannt werden.
 
Die Besonderheiten in den vorgefundenen Räumen lassen sich aufzählen: Große sturzfreie Fenster, die Einbindung der Loggia in den Wohnraum, klug positionierte Einbauschränke. Doch Einzelheiten geben nicht wieder, was die Wohnung so reizvoll macht, nämlich die Anordnung der Räume. Im Zentrum liegt der so genannte »Allraum«, an den auf der einen Seite Küche und Essplatz angrenzen, auf der anderen, getrennt durch einen offenen Flur, Schlafräume und Bad. Die für Skandinavien typische Trennung in gesellschaftliche offene und private geschlossene Bereiche erfolgt durch den Allraum, dem beide Eigenschaften innewohnen. »Wir wollen Normen mit menschlichen Zügen schaffen« – damit meinte Aalto den Gebrauch von durchschnittlich dimensionierten Räumen, die jedoch geschickt aufeinander bezogen sind, wie etwa die Verbindung zwischen Essbereich und Allraum über die verglaste Loggia. Die Architekten Johannes Reuter und Wencke Schoger steigerten die Transparenz durch rahmenlose Verglasung über den drei Türen zu den Schlafräumen. »Man wird immer wieder von derselben Idee aufgefangen,« stellt denn auch einer der beiden Bewohner fest.
 
Den innenräumlichen Differenzierungen gaben die Architekten auf unprätentiöse Weise nach: Als Fußboden in Küche, Flur und Bad soll geschliffener und versiegelter Estrich an Terrazzo erinnern, die übrigen Flächen sind mit hellem Linoleum ausgelegt. Zusammen mit sorgsam ausgewählten Wandfarben wird das Sonnenlicht den Funktionen entsprechend reflektiert. In zahlreichen feinsinnigen Details hinterließen die Architekten Spuren, die zu der lichten und leichten Atmosphäre der Wohnung führen: Etwa in die Vertiefung an der Zimmerdecke vor den Fenstern statt Gardinenbretter nun schmale Schienen für die Vorhänge einzulassen. Oder der Kasten neben dem Küchenfenster, dessen Vorderplatte sich verschieben lässt und damit einen großen Schrank öffnet. Oder der homogen wirkende Küchenblock, dessen Oberflächen mit einem fugenlosen Mineralwerkstoff verkleidet sind. Oder das Entfernen der Fußleisten, die sich nur noch als ornamentale Leerform am Sockel der Wandschränke abbildet.
 
»Lyödään hepuaadilla!«, »Überrumpele Sie!«, war ein Motto Aaltos. Eine solche Überraschung ist hier gelungen, was beweist, dass bedeutende Architektur weitergedacht und -gebaut werden kann. Das zugrunde liegende Diktum, darauf seien emsige Rekonstrukteure hingewiesen, hat ein fiktiver Gelehrter namens Faust bereits vor fast zweihundert Jahren gesprochen: »Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last; Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.«
 
 
Wohnung Adler Vossen Hansaviertel, Berlin
Architekten Reuter Schoger Architekten, Berlin