Michael Kasiske Freier Autor

01.04.2010 Bauwelt 13

»Zweieinhalbdimensional«

Wenn die Architektur zum Leinwandhelden wird

Das Friedensmuseum von Kenzo Tange in Alain Resnais’ »Hiroshima mon amour« oder die Casa Malaparte von Adalberto Libera in Jean Luc Godards »Le Mépris« – selbst berühmten Bauten kommt im Film meist nur die Aufgabe zu, Atmosphäre zu schaffen. Doch wie sieht es aus, wenn die Architektur das Szenenbilddasein abstreift und zum Hauptdarsteller avanciert?
 
Mit neunzehn Künstlerfilmen versucht die Ausstellung »2 1⁄2 Dimensional: Film Featuring Architecture« im Antwerpener Kunstcampus deSingel, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Der Titel »2 1⁄2 Dimensional« soll die Überlappung zwischen Bild und Raum im Film ausdrücken. Eine Inspiration war das Kino bereits für das Prinzip der »promenade architecturale«, was das Ausstellungsgebäude, 1969 vom belgischen Architekten und ehemaligen Le-Corbusier-Mitarbeiter Léon Stynen entworfen, mit Rampen, Luftgeschossen und überraschenden Durchblicken kongenial vergegenwärtigt. Die Belgierin Joëlle Tuerlinckx hat denn auch einen achtzig Meter langen Korridor im deSingel gefilmt. In den Personen, die diesen Gang mal selbstsicher, mal zögernd abschreiten, meint sich der Betrachter selbst zu sehen, wenn er an die mitten in dem Korridor installierte Projektionsfläche tritt.
 
Dass bereits für Godards »Le Mépris« die Villa auf Capri eine viel prägendere Rolle spielte, als man auf den ersten Blick meint, weist Matthias Meyer mit seinem ironisch Ghost betitelten Streifen nach. Er hat jene Sequenzen aus dem berühmten Film zusammengeschnitten, die abseits der Handlung ausschließlich das Haus zeigen. Sie ergeben ein einprägsames Bild, das die Charakterisierung durch den Bauherrn Curzio Malaparte als »ein Haus nach meiner Art: traurig, hart, streng« in Erinnerung ruft.
 
Heidi Specker kommt mit Landhaus Lemke auf das von ihr schon fotografisch porträtierte Mies-van-der-Rohe-Haus in Berlin zurück. Der für diese Ausstellung produzierte Streifen ist beseelt von den einstigen Bauherren. Im ersten Teil des Films – er ist Martha Lemke gewidmet – zeigt Specker Wände und Mobiliar im Licht- und Wetterwechsel; im zweiten Teil sind Details einer Tischgesellschaft im Wohnraum zu sehen, wie sie wohl eher dem gesellschaftlich aktiveren Ehemann entsprach.
 
Le Vele di Scampia, einer Hochhausanlage aus den 60er Jahren nahe Neapel, hat sich der Berliner Fotograf Tobias Zielony angenommen. Er lässt seinen Film mit nur zehn (anstatt wie üblich mit 24) Bildern pro Sekunde laufen. Das Ergebnis ist ein apokalyptisches Stakkato von Bildern der heruntergekommenen Wohnsiedlung, deren unübersichtliche Gemeinschaftsflächen sich in Orte der Gewalt und des Drogenhandels verwandelt haben.
 
Die Projektion von The house belongs to those who inhabit it der in London lebenden Künstlerin Runa Islam erinnert den Besucher ganz deutlich daran, dass Film ursprünglich eine belichtete Folie ist. Das auf 16 mm gedrehte Material läuft sichtbar durch den Projektor, dessen geräuschvolle Mechanik die laufenden Bilder fast greifbar werden lässt. Das ist Filmerlebnis pur. Alle anderen Filme werden über Beamer projiziert, was besonders bei Sullivan’s Banks aus der Serie »Architektur als Autobiografie« von Heinz Emigholz einen schmerzlichen Verlust an Authentizität bedeutet, da der Film eigentlich auf 35 mm gedreht wurde.
 
Eigenartig rätselhaft wirken die drei Betonbauten in den Filmen von Aglaia Konrad, obwohl zwei der gezeigten Gebäude, die Kirchen »Zur Heiligsten Dreifaltigkeit« von Fritz Wotruba in Wien und »Sainte Bernadette« von Claude Parent und Paul Virilio in Nevers, durchaus geläufig sind. Doch erst der dritte Film, Sculpture House, über ein wenig bekanntes, von dem Architekten Jacques Gillet und dem Bildhauer Felix Roulin entworfenes Wohnhaus lockert den gewohnten Blick und lässt die ruppigen Häuser als begehbare Skulpturen begreifbar werden.
 
Eine Kamera tastet ein verlassenes Gebäude auf der griechischen Insel Aegina ab, das einst von Sigfried Giedion zur Ikone der Modernen Architektur erhoben wurde, eine Off-Stimme berichtet über den Erbauer Alexis Rodakis, der nach Fertigstellung seines Hauses spurlos verschwand. Erst im Abspann von Olaf Nicolais Rodakis erfährt der Zuschauer, dass das Erzählte frei erfunden war. Architektonische Atmosphäre entpuppt sich einmal mehr als subjektiv wahrgenommene Realität.
 
 
»Zweieinhalbdimensional« Ausstellung »2 ½ DIMENSIONAL: FILM FEATURING ARCHITECTURE.« Vom 05.03.2010 bis 22.05.2010, deSingel, Antwerpen