Gebautes Tagebuch eines Architekten.
Besuch bei Philip Johnsons Glass House
»Once he has given up the ghost.« Mit dieser saloppen Antwort wurde vor einigen Jahren meine Anfrage nach Besichtigung des Anwesens von Philip C. Johnson in New Canaan beschieden. Mich auf diese Weise zu vertrösten, war so unumwunden wie korrekt: Mitte der 80er Jahre hatte der amerikanische Architekt verfügt, dass nach seinem Ableben das Areal mit allen Bauten dem National Trust zufallen und öffentlich zugänglich gemacht werden sollte. 2005 starb Philip Johnson im 97. Lebensjahr, zwei Jahre später wurde der Ort, an dem er seit 1949 überwiegend gewohnt hatte, für Besucher eröffnet.
Die erste Überraschung ist die Lage des vielfach publizierten »Glass House« (1949) auf einer Plattform mitten auf einem stark abschüssigen Hang. Aus dem grünen Rasenteppich erhebt sich ein kleiner Sockel aus Backstein, auf dem eine schwarze Stahlstruktur die großen Glasflächen hält. Gegenüber befindet sich das zeitgleich errichtete »Gästehaus«, dessen Backsteinwände nahezu vollkommen geschlossen sind. Das Gegensatzpaar mag die Ambivalenz Johnsons widerspiegeln, denn er betrachtete beide Gebäude als seine Refugien – Übernachtungsgäste, so ist zu hören, waren unerwünscht.
Auf dem rund 19 Hektar großen parkähnlichen Gelände, das Johnson nach und nach erwarb, befindet sich eine ganze Reihe weiterer kleiner Gebäude: der Seepavillon (1962), die Gemäldegalerie (1965), die Skulpturengalerie (1970), das Bibliotheks- und Studienhaus (1980) und das Eingangsgebäude (1995). Freiluftkunstwerke von Donald Judd und vom Architekten selbst – das Geisterhaus und der Lincoln Kirstein-Turm – kontrastieren die gefällige Landschaft, in der die drei alten Farmgebäude, die Johnson hier vorgefunden hatte, kaum auffallen. Die Mitarbeiter des National Trust benutzen gern die Metapher eines »Diary of the Architect« für das Areal. Und tatsächlich ist hier die Entwicklung seiner Architektursprache nachvollziehbar – bis auf die postmoderne Periode, deren Fehlen man aber kaum bedauern muss.
Johnson war ein unberechenbarer Charakter, der seine Widersprüche in der Architektur auslebte. Die späteren Gebäude entfernen sich von den klassizistischen Prinzipien, denen er lange huldigte, und weisen, wie etwa das deformierte, von Frank Stella inspirierte Eingangsgebäude, keine Bezüge mehr zum Vorhergehenden auf. Ähnlich wie Andy Warhol war Johnson ausschließlich an Oberflächen interessiert, alle Nachfragen nach einem tieferen Sinn schmetterte er charmant und witzig ab, wie in dem Gespräch mit John W. Cook und Heinrich Klotz aus dem Jahr 1973 nachzulesen. Dort findet sich auch die Anekdote, dass Mies van der Rohe das Glass House verachtete und es nach einem Streit nachts um zwei Uhr fluchtartig verließ. Vielleicht waren die geschlossenen Ecken dem Architekten des Hauses Farnsworth, das Johnson selbst als Vorbild nannte, unerträglich. Auch andere Unterschiede sind evident: Das vom Erdboden abgehobene Haus Farnsworth ist asymmetrisch, wohingegen beim Glass House die äußere Symmetrie mit sehr großzügig bemessenen Stahlprofilen unterstrichen wird. Hatte Mies offene und geschlossene Bereiche mit den Einbauten in eine harmonische Spannung gesetzt, geraten bei Johnson die straffen Achsen der Fassade mit dem freien Grundriss in Widerspruch.
Bis zuletzt lebte Philip Johnson hier mit seinem langjährigen Lebenspartner David Whitney. Dieser verstarb kurze Zeit nach ihm und übereignete dem National Trust eine umfangreiche Kunstsammlung mit der Maßgabe, daraus die Finanzierung des Anwesens zu sichern. So können nun Besuchergruppen – maximal zehn Personen, damit der private Charakter gewahrt bleibt – im halbstündlichen Rhythmus die Liegenschaft besichtigen. Aufgrund des großen Interesses sind Anmeldungen erst wieder für nächstes Jahr möglich. Philip Johnson würde es sicher gefallen haben, dass sich sein Anwesen zu einem ähnlichen Wallfahrtsort entwickelt wie etwa das Haus von John Soane in London. Die Gemäldegalerie mit den um drei Achsen rotierenden Hängepaneelen erinnert denn auch an Soanes »Picture-Room« mit dem aufklappbaren Gemäldeschrank. Man muss wohl ins Kalkül ziehen, dass Johnsons Zugang zur Architektur über die Kunstgeschichte verlief und er seine Persönlichkeit beziehungsreich, gleichwohl »modern« in Szene zu setzen wusste. In diesem Sinn antwortete er Cook und Klotz auf die Frage, ob er das Glass House immer noch möge, mit der für ihn charakteristischen Lakonie: »Darüber denke ich nie nach. Ich lebe einfach hier. Ich möchte nicht anders leben.«